Bei nosokomialen Infektionen ist schnelles Handeln gefragt, um die Verbreitung der Erreger einzudämmen. In partnerschaftlicher Kooperation mit Siemens Healthineers will das Klinikum Region Hannover die Übertragungswege mit einem Infection Control System (ICS) nachvollziehen. Ziel ist, das Infektionsgeschehen deutlich zu reduzieren.
Nur zu gut kennt Dr. Karin Kobusch die wachsende Bedrohung durch nosokomiale Infektionen. Sie ist Leitende Oberärztin für Krankenhaushygiene am Klinikum Region Hannover (KRH). Wenn es um multiresistente Erreger von nosokomialen Infektionen geht, spricht sie wie viele im Kreis ihrer Fachkolleg*innen von einer „stillen Pandemie, die uns längst erreicht hat“. Jährlich gibt es in Deutschland rund eine halbe Million Infektionen mit 10.000 bis 20.000 Todesfällen. In Europa fielen 2016 rund 91.000 Menschen der stillen Pandemie zum Opfer.1
Die Übertragung ist recht einfach, die Ansteckungspfade hingegen liegen meist im Dunkeln. „Auch die multiresistenten Keime werden zu 80 Prozent über die Hände weitergegeben“, weiß Dr. Kobusch. Aber wo lauern die Erreger und welchen Weg nehmen sie? Hier wird es knifflig.

Wenig effizient: Suche à la Sisyphus
Dr. Kobusch skizziert ein typisches Szenario: Vier Patient*innen auf verschiedenen Stationen sind mit dem gleichen Keim infiziert. Wie kann das sein? Wo liegt der Ursprung der Übertragung? Es folgen die üblichen Fragen: Lagen die Personen vorübergehend auf derselben Station? Hat man sie in demselben Saal operiert oder hatten sie Kontakt mit derselben Medizintechnik, etwa bei der Dialyse oder bei einer Endoskopie? Sind sie vielleicht ein und derselben Pflegekraft begegnet, die auf mehreren Stationen arbeitet?
Eine zeitraubende Recherche – man könnte auch sagen: nervige Suche – ließ sich bislang kaum verhindern. Sie führte unter anderem über das Krankenhaus-Informationssystem (KIS), das Radiologie-Informationssystem (RIS), die OP- und Dienstpläne. Und das immer wieder neu, wenn weitere Infektionen mit dem gleichen Keim auftraten. In Anbetracht dieser Sisyphusarbeit drängte sich die Frage auf, ob es nicht eine Alternative zu diesem meist manuellen Klein-Klein gibt!
„Man kann nosokomiale Infektionen und auch resultierende Ausbruchsgeschehen nicht zu hundert Prozent verhindern. Unsere Aufgabe besteht darin, sie schnellstmöglich unter Kontrolle zu bekommen.“
Gibt es! Dr. Karin Kobusch und ihr Kollege Dr. Bernhard Tautz, ebenfalls Oberarzt in der Krankenhaushygiene, zogen die Klinik-IT zurate. Damit handelten sie ganz im Sinne der KRH-Medizinstrategie 2030, die der „Einführung von wertstiftenden und effizienten Digitalisierungsprojekten“2 eine hohe Priorität einräumt. Denn was ist nützlicher und effizienter als ein System, das die Ausbreitung von nosokomialen Infektionen eindämmt und damit verhindert, dass es zu einem langandauernden Ausbruchsgeschehen kommt?
Nicht „extern“ und „intern“, sondern partnerschaftliches Teamwork
Um den Infektionsschutz in die eigene IT-Landschaft zu integrieren, hat das KRH die Expert*innen von Value Partnerships bei Siemens Healthineers früh ins Boot geholt. Daniel Hoefler, Spezialist für Clinical Workflow Solutions bei Siemens Healthineers, erläutert die gemeinsame Strategie: „Ziel war es, die sehr aufwendige Nachverfolgung von Kontakten mit Automatismen zu unterstützen und zeitnah detaillierte Auswertungen zu ermöglichen.“
Von Anfang an war klar: Hier kommen nicht Leute von außen, die dem Klinikpersonal zeigen, wie man es richtig macht. Stattdessen war Teamwork gefragt: Im partnerschaftlichen Miteinander von Internen und Externen geht es darum, die Infektionsherde schnell zu identifizieren und Infektionsketten früh zu durchbrechen.
Das Schlüsselwort lautet Ortungstechnologie. Die Idee dahinter: Alle Mitarbeiter*innen, Patient*innen sowie die relevanten medizintechnischen Geräte erhalten ein Device, das Bewegungen und Begegnungen innerhalb des Klinikums nachvollziehbar macht. Die Lösung für den KRH-Standort Siloah: ein Infection Control System (ICS). Es basiert auf RealTime Location Solutions (RTLS), einer Plattformlösung im Look and Feel von Siemens Healthineers. Damit lässt sich der aktuelle Standort von Objekten und Personen innerhalb eines definierten Bereichs in Echtzeit bestimmen und visualisieren.
„Wir haben gemeinsam mit Siemens Healthineers einen Weg gefunden, bisher nicht verfügbare Daten des Versorgungsalltags aufzuzeichnen, die von großer Bedeutung für krankenhaushygienische Fragestellungen sind.“

Die Kombination macht’s: IT- und Klinikkompetenz
Welche konkreten Beiträge leistete Siemens Healthineers bei der Planung und Umsetzung? Daniel Ewert-Schönstein, Senior IT-Projektmanager Krankenhausdigitalisierung am KRH, nennt ein Beispiel: „Siemens Healthineers hat uns bei der Auswahl von Hard- und Software begleitet und fundierte Sachkenntnisse in die Implementierungsstrategie eingebracht.“ Dass diese Sachkenntnisse weit über den rein technischen Aspekt hinausragen, wertet Ewert-Schönstein als besondere Stärke der Expert*innen: „Uns hilft es sehr, dass Siemens Healthineers mit der IT und den Prozessen im Krankenhaus vertraut ist.“
Die Betonung liegt auf dem Wörtchen „und“: IT- und Klinikkompetenz. Das KRH setzt mehr als einhundert klinische Systeme ein. Da braucht es einen guten Überblick, um ein Ortungssystem mit Zugriff auf Patient*innen-, Prozess- und Auftragsdaten zu implementieren. „Für uns war das Team von Siemens Healthineers unverzichtbar in allen Fragen der Umsetzung und Begleitung des Projektes.“
So auch bei den Abstimmungen mit Betriebsrat und dem Datenschutzbeauftragten. Die externen Spezialist*innen für klinische Workflows brachten ihre Expertise in die Gespräche am „Digitalen Runden Tisch“ ein, um das Projekt auch in Sachen Datenschutz sicher zu machen. Durch eine umfassende Aufklärung konnten anfängliche Bedenken in der Belegschaft ausgeräumt werden, sodass die Implementierung des ICS nun auf breite Zustimmung stößt.
„Keine Einzelpersonen identifizieren“
„Gegenüber der Mitarbeitervertretung haben wir klar herausgestellt, dass wir keine Einzelpersonen identifizieren wollen, die möglicherweise Infekte verbreiten“, betont Dr. Tautz. Seine Kollegin Dr. Kobusch sieht das genauso und ergänzt: „Uns geht es um Übertragungswege und gegebenenfalls darum, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Umkreis von Infektionsherden kollektiv zu sensibilisieren und zur strikten Einhaltung der Hygienevorschriften aufzufordern.“ Die Botschaft lautet: Das Klinikum will die Wege der Keime ergründen, nicht die Wege der Mitarbeiter*innen.
Die Oberärztin für Krankenhaushygiene ist realistisch: „Man kann nosokomiale Infektionen nicht zu hundert Prozent verhindern.“ Deshalb setzt sie einen anderen Schwerpunkt: „Unsere Aufgabe besteht darin, den Fokus schnellstmöglich ausfindig zu machen und die Verbreitung unter Kontrolle zu bekommen. Wir wollen wissen: Welche Gemeinsamkeiten haben die mit dem Erreger besiedelten Patienten und Patientinnen?“ Während die konventionelle Suche nach den Kontaktpunkten mitunter Wochen gedauert hat, erhofft sie sich mit RTLS und ICS im Fall der Fälle die Identifikation der „Keimzelle“ innerhalb weniger Tage.
RTLS kann mehr als „nur“ Krankenhaushygiene
Jetzt im Echtbetrieb unterstützen die Expert*innen von Siemens Healthineers das Monitoring des Infektionsgeschehens. Darüber hinaus simuliert das Team gemeinsam mit der Klinik-IT workflowoptimierende Maßnahmen und entwickelt ein umfassendes Projektmanagement, beispielsweise zur Optimierung des Geräteparks. Denn das RTLS-Konzept leistet weit mehr als das, was die Krankenhaushygiene ursprünglich bei der Klinik-IT angefragt hatte. Daniel Hoefler von Siemens Healthineers und seine Kolleg*innen haben den Mehrwert des Systems aufgezeigt. „Wenn man RTLS für den Infektionsschutz einführt, macht es Sinn, zusätzliche Anwendungen gleich mitzudenken. Das Besondere an unserer Lösung ist, dass sie die Nutzung unterschiedlicher Technologien – wie etwa RFID3 und BLE4 – auf einer Plattform und in einem Datenpool ermöglicht.“
„RTLS hat das Potenzial für die Optimierung vielfältiger klinischer Workflows: von der intelligenten Routenführung über die Ortung von Gegenständen bis hin zu datenbasierten Automatismen für ein effizientes Bettenmanagement und optimierte Bereitstellungsprozesse.“
„Neben den klinisch-medizinischen Vorzügen streben wir mit RTLS Prozessoptimierungen und somit wirtschaftliche Vorteile an.“
Medizinischer und wirtschaftlicher Nutzen
Auch Dr. Kobusch unterstreicht den ökonomischen Aspekt: „Nosokomiale Infektionen sind nicht nur gefährlich für die Patienten, sondern auch teuer, weil sie häufig zu verlängerten Liegezeiten führen. Zudem können nosokomiale Infektionen und Ausbrüche einen erheblichen Image- und somit wirtschaftlichen Schaden für die Einrichtung nach sich ziehen.“ Und sie fährt fort: „Mit unserem ICS wollen wir systematisch verhindern, dass sich die Erreger verbreiten, Menschen zu Schaden kommen und Kosten explodieren.“ Je besser beides gelingt, umso mehr profitieren alle. Das KRH hat in enger Kooperation mit Siemens Healthineers durch das RTLS/ICS-Projekt einen weiteren Meilenstein bei der Digitalisierung erreicht. Die Motivation dafür ist in der KRH-Medizinstrategie 20305 beschrieben. Kobusch ergänzt: „Es haben diejenigen Krankenhäuser einen Wettbewerbsvorsprung, die effiziente Digitalisierungslösungen schaffen.“
Aus der KRH Medizinstrategie 20306
Klinikum Region Hannover (KRH)
- Klinikgruppe mit zehn Standorten
- Das Klinikum Siloah ist mit 564 Betten größter Standort
- KRH Klinikum Region Hannover:
- 3.400 Betten
- 8.500 Mitarbeiter*innen
- jährlich ca. 300.000 Patient*innen (60 Prozent stationär)