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Industrieroboter
Innovationskultur

Robo-Hightech für präzise Strahlentherapie

Wie eine hochautomatisierte Fertigung bei der punktgenauen Bestrahlung von Krebs hilft – dank eigens entwickelter Innovation.
Nina Terp
Veröffentlicht am 27. Juni 2025
Moderne Strahlentherapie-Systeme arbeiten mit höchster Präzision. Damit sie den Elektronen- oder Photonenstrahl exakt auf einen Tumor lenken und gesundes Gewebe schonen können, brauchen sie ebenso hochpräzise Komponenten und Fertigungen, die diese herstellen. Am deutschen Standort Kemnath ist Siemens Healthineers genau für diesen Zweck ein kleiner, aber hochinnovativer Technologiesprung gelungen. Ein Expertenteam hat eines der härtesten Metalle der Welt gebändigt und es so erstmals im Unternehmen für die automatisierte Verarbeitung verfügbar gemacht – mit direktem Nutzen für Krebspatient*innen weltweit. 
Wolfram ist so hart wie Diamant, so dicht wie Gold und nicht einfach zu bearbeiten. „Doch genau diese Eigenschaften machen es so wertvoll für moderne Strahlentherapie-Systeme“, erklärt Projektleiter und Ingenieur Philipp Mayer. In Kemnath fertigen seine Kolleg*innen und er daraus sogenannte „Leafs“ für die Varian-Strahlentherapiesysteme von Siemens Healthineers.


Er erläutert: “Die beweglichen Lamellen aus Wolfram sind das Herzstück jedes Multi-Leaf-Kollimators.” Sie sind nur wenige Millimeter dick, stellenweise hauchdünn – und dadurch enorm anspruchsvoll in der Weiterverarbeitung. Das bedeute, so Mayer weiter, “je präziser unsere Komponenten gearbeitet sind, desto präziser kann am Ende die Bestrahlung des Tumors sein. Ein Strahl allein kann kein Leben retten. Aber wir können helfen, ihn genau dorthin zu lenken, wo er wirken soll – und das macht den Unterschied.“

Der Multi-Leaf-Kollimator befindet sich im Strahlentherapiesystem und "schneidet" den Bestrahlungsstrahl, ähnlich einer Schablone, präzise auf die Form des Tumors zu.
Mit einer neuen automatisierten und digitalisierten Fertigungslinie kann der deutsche Standort diese Schlüsselkomponenten seit Februar 2025 in konstant sehr hoher Qualität und deutlich erhöhtem Produktionsvolumen liefern. Die Anlage verbindet mehrere Fräsmaschinen. Industrieroboter bestücken sie vollautomatisiert. 

Der Knackpunkt war das Einspannen des Wolfram-Bauteils für den vollautomatisierten Fertigungs- und Handhabungsprozess. Die Lösung brachte eine im Team entwickelte einzigartige und innovative Vorrichtung. Für den jungen Projektleiter steht fest: „Unsere Lösung hat die automatisierte Fertigung der Wolfram-Leafs erst ermöglicht.“  


Zudem erkennt das robotik-gestützte System Abweichungen automatisch und stoppt bei Bedarf den Prozess – auch in „Ghost Shifts“, also unbemannten Nachtschichten oder Wochenendläufen. 

Die Rückverfolgbarkeit bietet größtmögliche Transparenz: Jedes Bauteil erhält einen sogenannten Data-Matrix-Code, also eine Art digitalen Fingerabdruck. Damit lässt sich genau nachvollziehen, wann, mit welcher Maschine und welchen Werkzeugen es gefertigt wurde, wer es geprüft hat, welche Toleranzen das Teil erfüllen muss und in welches Gerät es eingebaut wurde. Selbst Jahre später können die exakten Fertigungsdaten abgerufen und so Ersatzteile unter Umständen schneller produziert bzw. Reparaturen schneller durchgeführt werden. „Der hochdigitalisierte Prozess bringt einen enormen Qualitätsschub“, so Mayer, „und dient am Ende einem klaren menschlichen Ziel: der Patientensicherheit.“

Ein Data-Matrix-Code ist ein zweidimensionaler Code (ähnlich einem QR-Code), der auf sehr kleinem Raum viele Informationen speichern kann – deutlich mehr als herkömmliche Barcodes. Er besteht aus schwarzen und weißen Quadraten in einem quadratischen oder rechteckigen Muster.

Rainer Häupl

Für den Standort ist das Projekt nicht nur ein technologischer Meilenstein – es ist das Ergebnis jahrelanger Zusammenarbeit und gewachsenen Vertrauens zwischen dem Maschinenbau-Team in Kemnath und Varian, das 2021 Teil der Siemens Healthineers-Familie wurde. Die neue Produktionsanlage gehört außerdem zu den größten Anschaffungen im Rahmen der 60-Millionen-Euro-Investition in den Technologiestandort.


Von Nina Terp
Nina Terp ist freie Wissenschaftsjournalistin in Deutschland und fasziniert vom Zusammenspiel zwischen Mensch und Technologie für ein größeres Ganzes.