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Die hohe Kunst der Röntgenröhren-Innovation 

Die Röntgentechnik wird 130 – und ihre Entwicklung geht weiter. Physikerin Dr. Anja Fritzler forscht an der nächsten Generation von Röntgenröhren. Wie kommt die Innovation in die „Röhre“? 
Katja Gäbelein
Veröffentlicht am 15. August 2025
„Die besten Ideen habe ich eigentlich immer kurz vor dem Einschlafen“, erzählt Dr. Anja Fritzler lächelnd: „Vielleicht, weil mein Geist dann völlig frei ist.“ Fritzler ist bei Siemens Healthineers Principal Key Expert für das Thema Röntgenröhren.  

Die Röhre ist das „Herzstück" der Röntgentechnik. Fritzler und ihr fünfköpfiges Team betreiben in der Abteilung Power & Vacuum Products Grundlagenforschung zum Thema.  

In ihrem Labor im hochmodernen High-Energy Photonics (HEP) Center im oberfränkischen Forchheim entwickelt das Team völlig neue Röntgenröhren oder optimiert die Röntgenröhren bestehender Medizintechnik-Geräte von Siemens Healthineers.  

Fritzlers gesamte Karriere dreht sich um die „Röhre“. Schon in ihrer Abschlussarbeit im Physikstudium befasste sie sich mit Röntgenröhren und kam dabei erstmals mit der Innovationsabteilung bei Siemens Healthineers in Kontakt. Diese finanzierte später auch einen Teil ihrer Doktorarbeit. 

Das HEP Center Forchheim ist ein hochmodernes Siemens Healthineers-Werk für die Produktion von Hochleistungs-Röntgenröhren und Generatoren für die medizinische Bildgebung. 

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Während ihrer beruflichen Laufbahn bei Siemens Healthineers arbeitete Fritzler vier Jahre in Wuxi, China. Dort leitete sie ein kleines Team und arbeitete in den Abteilungen für Produktion sowie Forschung und Entwicklung von Röntgenröhren. 2014 wechselte sie als Simulationsingenieurin in die Innovationsabteilung bei Power & Vacuum Products und übernahm 2019 die Teamleitung. Heute arbeiten in ihrem multidisziplinären Team Physiker*innen mit Ingenieur*innen für Leistungselektronik und Design zusammen.   

Wer denkt, Röntgenröhren kämen nur in „klassischen“ Röntgengeräten zum Einsatz, irrt. Sie stecken in zahlreichen medizintechnischen Geräten, eingebaut in den Röntgenstrahler, der den Betrieb der Röhre ermöglicht.  

Je tiefer man in das Thema eintaucht, desto besser versteht man, warum Fritzler die Röntgenröhre als „riesigen Spielplatz" für Physiker*innen bezeichnet. Für sie ist die Röhre eine faszinierende Schnittstelle verschiedener physikalischer Prinzipien und Herausforderungen, die zum Experimentieren und Optimieren einladen. Schon das Anodendesign an sich eröffnet unzählige Möglichkeiten für Forschung und Weiterentwicklung. 


Portrait photo of Anja Fritzler. She wears a black blouse, her hair is tied in a ponytail. She is standing in the MedMuseum of Siemens Healthineers, with her hands clasped in front of her chest and smiling towards the camera. In the background you can see historical medical devices.

Als Principal Key Expert, leitet Fritzler bei Siemens Healthineers das Projekt „Next Generation Tube Technology“ (NGTT), das sich auf die kontinuierliche Innovation und Verbesserung von Röntgenröhren konzentriert: „So stellen wir sicher, dass wir die Technologie ständig weiterentwickeln“, erklärt die Physikerin. 

Principal Key Experts sind technologiegetriebene Vordenker*innen, die Innovationen über Abteilungsgrenzen hinweg voranbringen und zentrale Ansprechpersonen für strategische Entwicklungen sind. 

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Ziel aller Forschungen ist es, die Qualität der medizinischen Bildgebung für Patient*innen und medizinisches Personal kontinuierlich zu verbessern. Gleichzeitig soll die Strahlenbelastung so gering wie möglich bleiben. 

Welche Herausforderungen gibt es bei der Entwicklung von Röntgenröhren? „Bei der Entwicklung von Drehanodenröhren für Drehkolbenstrahler, die beispielsweise in CT-Scannern zum Einsatz kommen, haben wir mit extrafokaler Strahlung zu tun“, sagt Fritzler.  

Extrafokale Strahlung ist eine unerwünschte Form von Röntgenstrahlung – eine Art von Störstrahlung, die außerhalb des eigentlich gewünschten Brennflecks auftritt. Der Brennfleck ist der Punkt, an dem der Elektronenstrahl gezielt auf die Anode trifft und die gewünschte Röntgenstrahlung erzeugt. Ein Teil der Elektronen, die von der Kathode ausgehen, wird jedoch im Brennfleck gestreut, trifft auf andere Bereiche der Anode oder das Röhrengehäuse und produziert dort Bremsstrahlung – die sogenannte extrafokale Strahlung. 

Da die extrafokale Strahlung nicht vom definierten Brennfleck ausgeht, verursacht sie unkontrollierte Bildinformationen, was zu einem „Verschmieren“ des medizinischen Bildes, zu Unschärfe und Kontrastminderung führen kann, erklärt Fritzler. Zudem trägt sie zur Gesamtstrahlendosis bei, der Patient*innen ausgesetzt sind, ohne dabei einen diagnostischen Nutzen zu liefern.  

Um die extrafokale Strahlung zu reduzieren, haben Fritzler und ihr Team an einer speziellen Anodenstruktur geforscht. Die Strukturen auf der Anode sind mikroskopisch klein – im Mikrometerbereich. Dennoch können sie den Elektronenpfad im Brennfleck verändern und dabei helfen, Elektronen gezielter umzuleiten.  

So werde die unerwünschte extrafokale Strahlung verringert und die Photonenausbeute pro Elektron erhöht, erklärt Fritzler. Die so verbesserte Bildqualität könne später zu genaueren Diagnosen und besseren Behandlungsmöglichkeiten für Patient*innen beitragen und damit auch die Arbeit des medizinischen Personals erleichtern.  

Die Idee der strukturierten Anode haben Fritzler und ihr Team in enger Zusammenarbeit mit der Produktentwicklung weiterentwickelt. Inzwischen hat die Technologie einen Reifegrad von vier erreicht. Das heißt, sie könnte bald in konkrete Produkte implementiert werden.  

Eine weitere Herausforderung bei der Entwicklung von Röntgenröhren ist das Thema Nachhaltigkeit. Fritzler und ihr Team erforschen beispielsweise Verbindungstechniken, die es ermöglichen, Glas und Metall zu verbinden und später wieder zu trennen – im Gegensatz zum herkömmlichen „Einschmelzen” des Metalls in das Glas. So können wertvolle Materialien wiederverwendet werden.

Außerdem arbeiten sie daran, seltene Materialien wie Kobalt in den Röntgenröhren weitestgehend zu vermeiden. Das schont nicht nur Ressourcen, sondern senkt auch die Kosten: Denn je nach Größe, Bauart und Materialzusammensetzung kann eine einzelne Röntgenröhre mehrere Zehntausend Euro kosten.  

Die Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich der Röntgenröhren sind längst nicht ausgeschöpft: In Zukunft seien weitere spannende Forschungen zu erwarten, erzählt Anja Fritzler, etwa im Bereich der Röntgenfluoreszenz-Bildgebung, auf Englisch „X-ray fluorescent imaging“ (XFI). Im Kern macht diese Technologie chemische Elemente sichtbar, indem sie deren individuelles „Leuchten“ unter Röntgenbestrahlung misst.  

So lassen sich mit der XFI-Technik beispielsweise Tumore sichtbar machen, indem spezielle Nanopartikel als Marker verwendet werden. Diese binden sich an Zielstrukturen im Körper und beginnen unter Röntgenstrahlen zu fluoreszieren. Die Vorteile der Röntgenfluoreszenz-Bildgebung lägen unter anderem in interessanten Verfolgungsmöglichkeiten, sagt Fritzler. So ließen sich zum Beispiel Tumorzellen oder Medikamente im lebenden Organismus direkt verfolgen, was tiefe Einblicke in deren Verteilung und Akkumulation gewähren könne. 

In ihrer Freizeit malt Anja Fritzler übrigens gerne. „Mein Kunstlehrer in der Schule wollte mich sogar dazu motivieren, Kunst zu studieren“, erzählt sie lachend. Glücklicherweise entschied sie sich jedoch für die Physik – und ist heute, 130 Jahre nach der Entdeckung der ersten Röntgenröhre, eine moderne Künstlerin auf dem Gebiet der Röntgenröhreninnovation geworden.

© Video: Lisa Fiedler (Kamera & Schnitt), Alexander Goryachok (Kamera & Ton), Katja Gäbelein (Konzept & Regie)   
© Fotografie: Walther Appelt  
© Bildbearbeitung: Paul Linssen 
© Grafik & Motion Graphics: Viola Wolfermann 
© Archiv: Katharina Schroll-Bakes


Von Katja Gäbelein
Katja Gäbelein is a digital editor and content creator for multimedia content at Siemens Healthineers. She specializes in technology and innovation topics